PAUL HOSKING | IN THE BETWEEN 28. April 2022 - 03. September 2022
Ein Blick in Paul Hoskings Spiegel (von Tom Whyman)
Ist es wirklich möglich, ein Solipsist zu sein? Sogar ein Philosoph wie J. G. Fichte, ein bombastischer postkantianischer Idealist, der versuchte, das gesamte Wissen im „Ich“ zu begründen, hat letzten Endes realisiert, dass sein „Ich“ nichts sein würde, wenn es nicht in Kontakt mit einer substanziellen Außenwelt stehe, einer Welt, in der andere Menschen von entscheidender Bedeutung sind. Für Fichte bedarf das „Ich“ zur Entwicklung eines Selbstbewusstseins einer „Aufforderung“, die nur von einem anderen „Ich“ ausgehen kann – einem anderen freien Vernunftwesen.
Ich bin „Ich“. Ich bin mir meines eigenen Denkens gewiss – einem berühmten Zitat von Descartes zufolge, das Einzige, was nicht bezweifelbar ist. Cogito Ergo Sum. Ich weiß, dass ich bei Bewusstsein bin, dass ich ein Ort der Erfahrung bin, der sowohl im Innern, aber irgendwie auch rundherum, in der Außenwelt, existiert. Jeder andere hingegen könnte, was zeitgenössische Philosophen des Geistes einen „kognitiven Zombie“ nennen, sein: Ein leeres Wesen, das nur den Schein erweckt, ein denkendes, bewusstes Individuum zu sein – das von sich behauptet, ein „Ich“ zu sein.
Der philosophische Skeptizismus ist stets Ausdruck von Angst. Einer Angst, dass die Welt, wie ich sie kenne, möglicherweise nicht real ist, dass sich herausstellen könnte, dass im Grunde nichts in den Menschen steckt, zu denen ich mich hingezogen fühle, um Beziehungen aufzubauen. Das kann ich nicht nur nie wissen, das kann nie über mich bekannt werden.
In ihrer Dialektik der Aufklärung behaupten Adorno und Horkheimer, dass gesamte Wissen auf der Urangst vor dem Unbekannten beruht. Wir haben den Drang, Dinge zu wissen. Denn, wenn wir sie kennen, wenn wir sie benennen können, wenn wir in der Lage sind, zu sagen, worum es sich handelt, können wir herausfinden, wie wir sie kontrollieren können. Bruce Chatwin beschreibt in Traumpfade etwas Ähnliches – die Entwicklung der menschlichen Intelligenz als ein Abwehrmechanismus, eine Waffe unserer frühen Vorfahren im fundamentalen Kampf gegen ein großes, katzenartiges Raubtier, das Jagd auf Menschenaffen machte, bevor es in unserer Intelligenz seinen Meister fand und ausgestorben ist. Der Rest der Menschheitsgeschichte wurde in Sorge verbracht, beim Versuch, sich neue Bedrohungen auszudenken, die den Platz dieser toten Katze einnehmen könnten.
Aufklärung war für Adorno und Horkheimer kaum mehr als ein gewaltiges Sicherheitsnetz. Mit dem Versprechen, uns vor verschiedenen – realen oder imaginären – Bedrohungen zu schützen, hat die moderne Naturwissenschaft und Technologie die Welt aufgewühlt und noch unsicherer gemacht: Geprägt vom Fortschritt, von der Steinschleuder bis hin zur Atombombe, „strahlt“ die vollständig aufgeklärte Erde „im Zeichen triumphalen Unheils“. Und, gewiss, folgt man Chatwin, dann mögen wir es so.
Wir haben den Drang, andere Menschen zu kennen. Dies rührt, zumindest teilweise, von der Angst, nicht gekannt zu werden. Ein Kind im Alter von rund einem Jahr mag zufrieden selbst spielen, fängt aber sofort an zu weinen, wenn es sieht, dass seine Eltern den Raum verlassen. Der Ausdruck auf seinem Gesicht verrät seine wahre Angst: dass es, wenn du gegangen bist, genauso verschwinden könnte.
Mit dem Internet, und dann mit den Smartphones haben wir uns magische Tools ausgedacht: sie bieten uns die Möglichkeit, immer mit jedermann, weltweit, in Verbindung zu stehen – überall und jederzeit. Damit sollte sich die Angst eigentlich gelegt haben: weder Eltern noch Freunde müssen uns je wieder allein lassen. Sie sind immer in unserer Tasche: Wir können mit ihnen sprechen, wann immer uns danach ist.
Doch stattdessen breitet sich die Angst aus. Auf Social Media posten wir: Verbindung zu anderen Menschen gesucht. Aber, dank des Algorithmus, erhalten wir als Antwort nur uns selbst. Während wir posten, während wir kommunizieren, während wir mit anderen in Kontakt treten, vervielfacht sich das Selbst. Es ist, als stünden wir uns selbst im Wege, als würden wir uns ständig selbst die Sicht versperren.
In diesem Werk spielt Hosking mit diesen Ideen, indem er abgewinkelte Spiegel und Farbeinlagen verwendet, was zu einer unendlichen Vervielfachung des Betrachters führt und gleichzeitig alles andere im Hintergrund verblassen lässt. Wir werden immer mehr wir selbst und kennen einander immer weniger.
Sollte es Hoffnung geben, dann in der Tatsache, dass Descartes sich letzten Endes geirrt hat. In seinen Meditationen begann Descartes damit, dem Wissen eine Grundlage zu geben: die apodiktische Gewissheit. Er versuchte etwas zu entdecken, das nicht in Zweifel gezogen werden konnte, um alles andere darauf aufzubauen. Was Descartes entdeckt hat, während er an seinem Ofen saß, um sich aufzuwärmen, und sogar an der Hitze der Flammen und der Kälte in seinen Knochen zweifelte, war seine eigene intellektuelle Aktivität des Zweifelns bzw. Denkens – das „Ich denke“. So weit, so gut, könnte man sagen. Aber dann sprang er sofort, unrechtmäßig, zu etwas anderem: „also bin ich“.
Nur weil ich denke, heißt nicht, dass ich bin. Dass ich denke, bedeutet einzig, dass eine intellektuelle Aktivität im Gange ist – es bedeutet nicht notwendigerweise, dass diese Aktivität einem einzelnen, eigenständigen Wesen zugeschrieben werden kann. Das war der Irrtum von Descartes: zu denken, dass das Selbst etwas Einfaches, Transparentes, Eigenständiges ist.
Die Aufklärung hat uns in uns gefangen gehalten – was aber nicht heißt, dass wir für uns selbst transparent sind. Selbsterkenntnis ist weder einfach noch selbstverständlich: unsere eigenen erstpersönlichen Erfahrungen, über uns selbst genauso wie über die Welt, bringen nicht nur Licht ins Dunkel – sie verdunkeln auch. Unsere eigenen Bedürfnisse, unsere Wünsche, unsere Motivationen – hat irgendjemand diese Dinge wirklich perfekt im Griff?
In Anbetracht der vielen Versionen von uns selbst, die wir in Hoskings Werk reflektiert sehen – ergeben diese einzelnen Umrisse, zusammen, in irgendeiner Form ein verständliches Ganzes?
Manchmal ist es nötig, dass mein Partner mir sagt, dass ich Hunger habe oder dass ich überarbeitet bin. Manchmal ist es nötig, dass mein Sohn mir sagt, dass ich mir in Wirklichkeit wünsche, mich mit ihm unter dem Bett zu verstecken. Auf sozialer Ebene bin ich im wahrsten Sinne des Wortes auf meine Familie angewiesen, um mich bei einigen der wichtigsten Facetten meiner Identität zu unterstützen: die Dinge über mich selbst, die ich sehe, wenn ich in mich hineinschaue.
Solipsismus ist nicht möglich – denn wir können uns selbst nur durch andere Menschen verstehen. Selbst mit gänzlich nach innen gerichtetem Blick können wir mit Sicherheit auch einen Blick von ihnen erhaschen.